Geschichte
Lüchow/Groß Gusborn. Heinz
Irro und Wolfgang Hübner müssen
nicht lange in ihren Erinnerungen
kramen, um von den Ereignissen
rund um den 25. November
1973 zu berichten. So
präsent ist bei ihnen der erste
autofreie Sonntag in Deutschland.
Viele Gespräche des Seniorchefs
des Lüchower Bus- und
Taxiunternehmens und des ehemaligen
Mitarbeiters in den vergangenen
Jahren begannen mit
„Weißt du noch ...?“
Und so erzählen sie, ohne lange
überlegen zu müssen, von diesem
Geschäftstag, den „man
nicht vergisst“. Wegen der Menge
an Fahrten und dem guten
Umsatz. Und den Umständen.
Schließlich gehörten Taxifahrer
zu den wenigen Deutschen, die
an diesem Tag überhaupt Auto
fahren durften. Mietwagenfahrten
waren vom Fahrverbot, das
die Bundesregierung als drastische
Sparmaßnahme infolge der
Ölkrise verhängt hatte, ausgenommen.
Ebenso Fahrten von
Ärzten, Tierärzten oder auch
Frischwarelieferanten.
Kuh und Sau wurden
auch sonntags besamt
Die Tierärztekammer habe Bescheinigungen
ausgestellt, berichtet
Dr. Reinhard Goy senior
aus Groß Gusborn. Er musste immer
mit einem Notfall rechnen.
Dann sprang er in seinen VW Käfer
und fuhr zu den Bauernhöfen
in der Elbtalaue. Wenn die Besamung
einer Kuh oder Sau auf einen
Sonntag fiel, dann sei das
auch bedient worden, berichtet
der ehemalige Tierarzt. Auf den
Dörfern hätten die ansässigen
Polizisten das Fahrverbot überwacht.
In Langendorf sei dies der
Beamte Buchwald gewesen. Der
habe ihn aber erkannt und
durchgewunken, erinnert sich
Dr. Goy.
Die Kelle sah an diesem Sonntag
auch Heinz Irro, und zwar in
Teplingen. „Ich habe das noch genau
vor Augen. Vor mir nichts,
hinter mir nichts. Und plötzlich
stand der Polizist auf der Straße“,
berichtet Irro, der 1972 sein
Taxiunternehmen in Lüchow gegründet
hat. Opel Rekord fuhr er.
Der Wagen war nicht wie heute
als Taxi zu erkennen. Also legte
Irro bei der Kontrolle den Mietwagenschein
als Legitimation
vor.
Taxifahrten ohne Pause
Der Lüchower und seine zwei
Mitarbeiter hatten sich für den
25. November Brote geschmiert,
die Thermoskanne gepackt und
sind praktisch die Nacht und den
Tag durchgefahren. Die Nachfrage
der Lüchow-Dannenberger
nach einer Taxifahrt war extrem
hoch. Bei Brigitte Irro, die die
Fahrten koordinierte, lief das Telefon
heiß. Längst nicht alle Anfragen
konnten bedient werden.
„Die Leute wollten überallhin“,
so Heinz Irro. Als die Regierung
den autofreien Sonntag ankündigte,
erinnert er, riefen bereits
Menschen an und buchten Fahrten
für diesen Sonntag – etwa,
weil sie Angehörige im Krankenhaus
besuchen wollten oder nach
Uelzen zum Bahnhof mussten.
35 D-Mark kostete die Fahrt von
Lüchow zum Zug. Er sei die Tour
an diesem Tag mehrfach gefahren.
EJZ berichtet:
Kirche setzte Omnibusse ein
Die Elbe-Jeetzel-Zeitung berichtete
damals in der Montagausgabe
unter der Überschrift „Alle
Straßen waren fast leer“ unter
anderem dieses über jenen Sonntag
im Kreisgebiet: „Erheblich behindert
waren die Gottesdienstund
Friedhofsbesucher, insbesondere
aus den ländlichen Gemeinden,
die bei dem kalten und
windigen Wetter meist auf das
Fahrrad angewiesen waren. Einige
Kirchengemeinden hatten Omnibusse
eingesetzt, um den Einwohnern
am Totensonntag den
Weg zu den Gräbern zu erleichtern.“
Schneematsch bremste aus
Heinz Irro, Wolfgang Hübner
und der verstorbene Helmut Pavel
hätten wohl noch mehr Menschen
befördern können, wenn
das Wetter sie nicht ausgebremst
hätte. „Schneematsch. Es war
glatt“, sagt Wolfgang Hübner.
Und im Laufe des Sonntags sei
auch der Sprit knapp geworden.
An einer Zapfsäule in Künsche
habe er noch mal auffüllen können.
Womöglich erinnert er sich
daran auch so gut, weil aus den
umliegenden Häusern Stimmen
laut wurden, dass dies ja wohl
nicht erlaubt sei. Hübner und
Irro sind sich einig, dass sich so
ein Fahrverbot heute vermutlich
nicht mehr umsetzen lasse. An
jenem Sonntag habe eine „Totenstille“
über dem Land gelegen.
Die Leute hielten sich laut EJZ
an das Fahrverbot. Alle Lokalitäten
hatten geschlossen.
Gegen 22 Uhr war für die Taxifahrer
Feierabend, „alle so weit
am Ziel“, sagt Heinz Irro. Danach
bereitete man sich auf den kommenden
autofreien Sonntag vor.
Da seien übrigens schon wieder
mehr Autos unterwegs gewesen,
erinnern sich die beiden. Unter
anderem Mitbewerber im Mietwagengeschäft.
Es hätten sich
wohl einige „schlau gemacht und
sich Ausnahmegenehmigungen
geholt“, so Heinz Irro.
Quelle: EJZ vom 25. November 2023, Seite 4