Reisen
Von Christiane Beyer
Lüchow. Gesetzt den Fall, man
könnte auf dem Äquator mit einem
Reisebus einmal um die
Erde fahren, dann stünden am
Ende der Tour 40 075 Kilometer
auf dem Tacho. Gerald Frühauf
und Ian Hamilton lachen. Sie
sind Reisebusfahrer bei dem Lüchower
Unternehmen Irro Reisen,
umrunden die Erde bis zu
zweimal im Jahr, was in ihren
über 22 Berufsjahren zwischen
1,6 und 1,8 Millionen Kilometer
ausmacht. In den vergangenen
beiden Corona-Jahren sind allerdings
nicht viele dazugekommen,
der 55-jährige Frühauf und
der 63-jährige Hamilton fahren
aktuell vor allem Linie. Ja, das ist
zwar Bus fahren, aber eben nicht
Reisebus fahren, stellen beide
klar. „Auf der Linie bekommst du
keinen Kontakt zu den Leuten,
kaum, dass du mal ein ,Moin‘
hörst,“ sagt Ian Hamilton. Im
Reisebusverkehr baue man dagegen
zu seinen Gästen eine
Beziehung auf, aus der sich auch
Freundschaften entwickeln.
Und: „Du kannst ganz viel für
dein eigenes Leben mitnehmen.“
Beruf und Berufung
Gerald Frühauf spricht vom Reisebusfahren
als „Berufung“. Er
hat mal einen forstwirtschaftlichen
Beruf gelernt und auf dem
Bau gearbeitet, nach einem Motorradunfall
machte er seinen
Busführerschein. Ian Hamilton,
gebürtiger Schotte und seit vielen
Jahren in Deutschland, war
Koch, bevor er auf Busfahrer umsattelte.
Als Reisebusfahrer kommst
du in die schönen Ecken der
Welt, beide lieben die Berge und
die Natur, die Schweiz, Südtirol,
Skandinavien. Bei blauem Himmel
und Sonne fühlt sich für sie
jede Fahrt wie Urlaub an. „Du
freust dich einfach, wenn es wieder
losgeht“, sagt Gerald Frühauf.
Und wenn mal eine Reise nicht
so toll war, dann werde die
nächste sicher doppelt so schön,
ist sich Ian Hamilton sicher.
Als Reisebusfahrer muss man
nicht nur einen Bus mit 50 Passagieren
sicher lenken können,
sondern braucht auch viel Menschenkenntnis.
Es gibt die angenehmen
Busgäste, aber ebenso
diejenigen, „denen du nichts
recht machen kannst, die immer
was zu meckern finden“. Frühauf
und Hamilton bekommen
schnell raus, wer Unfrieden stiftet.
Dann ist ihr Fingerspitzengefühl
gefragt, damit die Fahrt
auch für die anderen Gäste eine
angenehme Reise bleibt. Meist
nimmst du den betreffenden
Gast beiseite und redest mit ihm.
Wenn das nichts nützt, weisst
du, „in zehn Tagen sind die wieder
weg“.
Sogar Freundschaften
Aber solche Erfahrungen sind
eher selten. In der Mehrheit seien
die netten Gruppen und Gäste.
Die beiden Busfahrer erzählen
von Menschen, denen das
Reiseziel weniger wichtig ist als
der Fahrer, der sie dort hinbringt,
und von neuen Freundschaften.
Weil er naturgemäß englisch
spricht, fährt Ian Hamilton für
Irro Charter, die internationale
Busvermietung des Unternehmens,
vornehmlich ausländische
Gäste, Touristen aus den USA,
Südafrika oder Australien auf
Europatour. Oder seit einigen
Jahren auch Amerikaner, die den
Besuch einer Handwerkermesse
immer mit einer kleinen Reise
verbinden. Einen dieser Männer
hat er während seines USA-Urlaubs
in Alabama besucht. Die
Freude war groß, berichtet er.
Klappfahrrad im Bus
Ob sie bei den Besichtigungstouren
ihrer Gäste immer dabei
sind? Kommt drauf an. Brauereibesichtigungen
seien nicht sein
Fall, sagt Ian Hamilton. Aber dafür
die Werke, in denen Eurofighter-
oder Airbus-Flugzeuge gebaut
werden: Flugzeugbauer als
Fahrgäste machen es möglich.
Gerald Frühauf besichtigte mit
seinen Gästen das BMW-Werk in
Leipzig oder entdeckte mit ihnen
die Pariser Katakomben.
Von Nachteil sei, dass die Busplätze
meist abseits der Innenstadt
liegen, sie an einem zentralen
Platz nur kurz anhalten
dürfen, um ihre Gäste rauszulassen.
Ein Klappfahrrad, das beide
dabeihaben, macht es ihnen
leichter, auch etwas von der
Stadt zu sehen. Ansonsten nutzt
du die Wartezeit mit Buch,
Handy, Staubsaugen und Scheibenputzen
oder Gesprächen mit
Kollegen.
Nur 100 Tage im Jahr zu Hause
Als Reisebusfahrer sind sie in
pandemiefreien Jahren die meiste
Zeit unterwegs und wohl nur
100 Tage zu Hause, schätzt Gerald
Frühauf. Nach zwölf Tagen
Fahrt hat man garantiert frei. Es
ist ein schöner Job, finden beide,
aber sie selbst, Frau und Familie
und auch die Freunde müssen
damit klarkommen, dass sie die
meiste Zeit weg sind. Und: Ganz
wichtig sei Vertrauen in der Partnerschaft.
Deshalb sehe man
auch wenige junge Fahrer, die
meisten seien schon älter.
Und was ist nun mit Schulklassen?
Die sind „mal so, mal
so“. Wenn die Lehrkräfte die
Gruppe auf Klassenfahrt nicht in
den Griff kriegen, „haben wir ein
Problem“. Wird der Tumult zu
groß, haben sie auch schon mal
angehalten. Und sollten alle
Machtworte nichts nutzen, haben
sie noch eine „schöne Erpressung“
parat – indem sie das
WiFi im Bus ausschalten. „Früher
haben wir in solchen Situationen
NDR I angemacht, heute
Quelle: Elbe-Jeetzel-Zeitung vom 26. Januar 2022, Seite 4